Habe ich es schon einmal erwähnt? Die Rubrik ‚korrekt‘ in der TITANIC ist ein primaklasse Experimentier-Laboracker für sprachliche Eskapaden. Das und dafür liebe ich!
korrekt: Lebensendzwischenbilanz
Da saß er, ein kloßweiches Handtuch, eingewickelt in ein hellblau-kariert-gestreiftes Hemd, und je länger man ihn ansah, desto kürzer erschien einem die Frist, bis die Bratensoße, die an ihm haften musste, durch den Stoff seines Leibchens sickern würde. Also schnell, die Sache erledigen, damit es gleich zum Ausgang aus dieser Nummer gehen kann! Vom Drama seines Lebens müsse er uns berichten, unbedingt, nicht entfernen sollten wir uns, sondern lauschen, denn es sei unglaublich, irgendwie, und trotzdem wichtig und richtig, und bitte, hört mir zu. Ehe es losgehen konnte, musste zwar der Wirt kommen und mit dem Besen die gewaltigen Berge mit Rotz und Tränen getränkter Tempotaschentücher zur Seite kehren, doch dann war die Sicht frei und das Elendsklötzchen mit dem krustigen Kegelkopf begann schniefend seine Lebensbeichte. In deren Verlauf ein Lächeln auf seinen Lippen aufblühte, als betrachtete er eine Blume im Morgenlicht eines feucht-warmen, aber nicht zu heißen Tages, mit etwas Vogelgezwitscher im Hintergrund, aber nicht zu viel Vogelgezwitscher. Die Story selbst war dann allerdings eher unspektakulär, nichts, was man genauso oder komplett abgewandelt nicht schon gehört hätte. Als junger Mann nach Paris, dort unter Künstlern schwanger geworden, nach neunzehn Monaten Sohn Gottes geboren, Flucht nach Nizza, verschiedene Tätigkeiten in einer Villa, von der einmal beinahe Picasso gehört hätte. Noch zwei Kinder, dann mit der Formel-1 geliebäugelt. Schließlich aber für das Trinken entschieden, bescheidene erste Erfolge, später jedoch Mondlandung, Eurotunnelblick, iranisches Pistazienprogramm, Second-Hand-Schuh-Verkäufer. Naja, immerhin hatten wir ihm eine Freude gemacht – etwas, das bestimmt nicht auf unserer To-Do-Liste stand!
TITANIC Heft 479 / 40. Jahrgang, September 2019
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