Keine überflüssigen Worte, sondern nur – zack!

Unermittelbar

Dass der Waschler nicht einfach so gestorben war, war offensichtlich. Es gab Verdächtige ohne Zahl, aber den wahren Mörder aufzuspüren erwies sich als unmöglich. Der Staatsanwalt Kirsch, der ermittelte, sagte, er hätte noch nie einen Fall erlebt, wo das Opfer so vielen Menschen Grund gegeben hätte, ihm die Gurgel umzudrehen.

Dabei war Waschler alles andere als erwürgt worden. Verblutet sei er letzten Endes, hatte der Notarzt gesagt. Bloß wäre das gar nicht mehr nötig gewesen, denn der Waschler wurde im Büro aufgefunden, hinter seinem Schreibtisch sitzend, an einem Montagmorgen. Jemand, der Waschler nicht hatte leiden können, hatte ihm beide Arme an die Tischplatte genagelt und die Beine an den Stuhl. In den Füßen steckte ein halbes Dutzend rostiger Schrauben, in den Rücken bohrten sich etliche zöllige Zimmermannsnägel, die durch die Lehne getrieben worden waren.

Das könne natürlich nichts entschuldigen, erklärte Kirsch, der das Opfer persönlich gekannt hatte. Aber es sei nicht zu leugnen, dass Waschler keine Gelegenheit ausgelassen habe, sich Feinde zu machen. Nicht nur, so der Staatsanwalt, dass er an sich eine widerwärtige Erscheinung gewesen sei. Dass er stets viel zu dicht auf sein Gegenüber aufgerückt sei, obwohl er grauenhaft aus dem Mund stank. Oder dass er sommers die Sandalen abwarf und seine nackten schuppigen Schweißfüße auf Sesseln der Kollegen platzierte.

Darüber hinaus habe sich Waschlers Interesse für seine Mitmenschen auf die tägliche Lektüre der Todesanzeigen beschränkt, die er gierig nach bekannten Namen durchforstete. Unfälle und Verbrechen galten ihm als selbst verschuldet und rechtens erlitten. Arrogant und rechthaberisch sei er gewesen, und wenn ein Kollege eine zutreffende Meinung vertreten habe, hätte Waschler unfehlbar sein Mantra verkündet: »was ich ja vorhin schon sagte.«

Ein Täter wurde nie gefunden, obwohl die gesamte Kriminalpolizei an dem Fall beteiligt war. Oder vielleicht genau deswegen: War Waschler doch Chef der Nürnberger Kripo gewesen.

ars vivendi Krimikalender für 2017, ISBN-13: 978-38691-36622 (2016)


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