Familienurlaub in den 1970ern

Ein Text, der absolut für sich selbst spricht.

Jugoslawisch Parken

Es gab in der Zeit meiner Kindheit ein ungeschriebenes Gesetz, das besagte, dass, sobald der erste Mensch auf dem Mond gelandet wäre, alle Familien zwingend mindestens einmal nach Jugoslawien fahren mussten. Italien war auch vielen schon zu voll und zu teuer und Spanien zu weit, um mit einem klapprigen Simca und drei Kindern auf der Rückbank zwei Tage durch die Hitze zu tuckern. Also auf an die Adria zwischen Rijeka und Dubrovnik.

Dort gab es gebratenes Fleisch und fettige Pommes, super süße Limonade, römische Ruinen zum darauf Herumklettern und Seeigel, in die der Vater treten konnte. Danach wurde für jedes Familienmitglied im Strand-Shop ein paar Sandalen aus durchsichtigem Plastik gekauft.

Auch wir waren in den 1970ern dort, zwei oder drei Mal. Ich lernte irgendwo bei Split schwimmen, die Oma saß den ganzen Tag lang in einem klapprigen Liegestuhl und löste Kreuzworträtsel. Der Nachschub ging nie aus, denn man konnte die Heftchen im Kiosk kaufen. Sogar auf deutsch, genau wie die Bild-Zeitung, die auch damals schon unfassbar dumm war. Immerhin ließen sich daraus prima Hüte falten, damit die Oma keinen Sonnenstich bekam. Sie weigerte sich standhaft, ins Wasser zu gehen. Was vernünftig war, denn sie hatte nie im Leben schwimmen gelernt. Wobei sie selbst behauptete, sich lediglich davor zu fürchten, dass ein Krebs sie in den Fuß zwickte. Zwei Mal am Tag gab’s Eis mit künstlichem Zitronengeschmack und abends, im Gartenlokal standen Berge Rasnici und Cevapcici auf dem Tisch. Letztere liebte ich ganz besonders – wegen des wunderschönen Namens.

An einem Abend gab es allerdings einen Zwischenfall. Als wir das Restaurant verließen, entdeckten wir, das unser Auto ernsthaft eingeparkt worden war. Ein dicker in Gold-metallic lackierter Benz stand quer vor dem Heck unseres roten Simca.

Mein Vater stieß einige Wörter hervor, deren Gebrauch er mir noch vor wenigen Stunden verboten hatte. Meine Mutter stand augenblicklich kurz vor dem Nervenzusammenbruch: Ogottogott, was nun? Wir kämen doch ohne Auto hier nie wieder weg, die Polizei nähme uns alle mit, wir würden gefoltert und müssten in einem kommunistischen Geheimgefängnis verhungern. Ich selbst war traurig, weil es nicht so aussah, dass ich auf der Rückfahrt nicht im Kofferraum sitzen würde – damals meine absolut liebste Art befördert zu werden.

Wie auch immer – meinem Vater gelang es, unsere Familienkutsche übers Geröll und durchs Gebüsch irgendwie hoch zur Straße zu manövrieren. Doch ganz kommentarlos zogen wir nicht von dannen. Mein Vater riss ein Blatt Papier aus dem Malblock meines Bruders und schrieb mit dem dicksten Filzstift, der sich irgendwo auf dem Rücksitz fand, darauf: »So blöd kann nur ein Nürnberger parken.«

Dann klemmte er die Nachricht hinter den Scheibenwischer des Parkrüpelautos, das so wie unseres ein deutsches Kennzeichen hatte. Bei uns stand »LAU« darauf, bei ihm »N«.

Viele Jahre später überlege ich manchmal, ob ich diese Sitte heute hier (in Gostenhof) nicht wieder aufleben lassen sollte. Nun, ich will jetzt auch gar nicht groß über die Fahrer aus gewissen Nachbarstätten klagen, die auffallend oft in Einfahrten, Feuerwehranfahrtszonen, auf Radwegen, manchmal sogar direkt auf dem Gehweg oder vor einer Haustür ihre geisteskranken Monsterkarren hinklotzen. Denn wer wäre schon frei von Schuld, dass er oder sie den ersten Zettel verteilen dürfte?

Interessant wäre es aber schon. Denn so könnten doch interessante Begegnungen stattfinden, daraus womöglich sogar Freundschaften erwachsen, wenn man sich erst einmal den alten Ärger von der Seele gelacht hätte. Das könnte ungefähr so ablaufen:

»Was? DU warst es damals, als ich, um Geld abzuheben, nur kurz auf dem Fußgängerüberweg anhielt?«

»Ja, das war ich. Verrückt, dass wir uns heute begegnen. Ich dachte mir: Wie blöd muss man sein, um mit dem Auto bis zum Geldautomaten zu fahren und dann zu parken wie ein Depp! Da schrieb ich die Nachricht.«

»Naja, das war sicher nicht so cool, sehe ich ein. Hab mich auch gebessert seitdem. Erst hat mich der Zettel maßlos geärgert, ich dachte, was für ein Öko-Gestapo-Klugscheißer, das gibt’s doch nicht! Aber später dann… trotzdem mega-witzig.«

»Von mir war das auch nicht die feine Art. Aber ich habe mich halt maßlos geärgert, wie rücksichtslos man sein kann. Später hat es mir dann aber leid getan…«

Und so weiter, und so fort. Dann die Umarmung, ewige Treueschwüre, Wangenküsse, gemütlicher Grillabend, gemeinsamer Kauf eines Doppelhauses mit zwei Garagen, friedliche Nachbarschaft und Freundschaft bis ins hohe Alter.

Apropos: Liest hier vielleicht rein zufällig ein Nürnberger mit, der damals auch in der Gegend um Split Urlaub machte und nach dem Besuch des Gartenlokals hinter dem Scheibenwischer seines Gold-metallic lackierten …?

Erschienen in den Fürther Nachrichten am 9. Mai 2021


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