Aus den ersten Tagen der Rumkugel
Es verirrte sich im Jahr 1683 eine spanische Galeone auf dem Rückweg aus der Karibik irgendwo in der Biskaya, verpasste sämtliche Einfahrten entlang des Ärmelkanals und geriet sich schließlich bei Rotterdam in den Rhein. Am Steuer stand der unfähigste Kapitän aller Zeiten, der nicht bemerkte, dass er sich komplett verfranzt hatte, selbst als er den Rhein stromaufwärts bis Koblenz gesegelt, dort in den Main ab- und bei Bamberg astrein auf die Regnitz eingebogen war. Erst kurz vor Fürth begann er zu zweifeln, ob er wirklich noch auf dem richtigen Kurs nach Valencia war, doch teilte sich da just der Fluss und er musste sich schnell entscheiden. Das unergründliche Schicksal traf seine Wahl und er riss das Ruder nach rechts. Das Schiff strandete eine halbe Stunde später am flachen Ufer des Flussbades in der Badstraße.
Nun war guter Rat teuer, denn der Rumpf des Schiffes leckte und war bis obenhin mit Fässern vollgepackt, in denen nichts anderes schwappte als feinster Jamaikanischer Rum. Der rauschebärtige Korsar wollte die Gelegenheit beim Schopf greifen und das köstliche Nass unters Volk bringen, allein: da zeitgleich zwischen Rathaus und Kurgartenstraße die Fürther Kärwa tobte, gab es nicht ein überzähliges Glas in der Stadt. Und um Amtshilfe an die Stadt Nürnberg wollte sich beim besten Willen keiner der Beteiligten wenden.
Zum Glück betrieb in großer Nähe zum Badehaus eine findige Buttermacherin ihr Geschäft. Einen ganzen Schuppen hatte sie vollgepackt mit Butterfässern, gedacht als Rohstoff für die kommende Weihnachtsstollen-Saison. Nur dass es der Meierin an Rosinen fehlte, die Ernte war schlecht gewesen, die Preise astronomisch. Der Korsar gefiel der Meierin und umgekehrt, und so beschlossen sie, einander aus der betriebswirtschaftlichen Bredouille zu helfen.
Die kanonenkugelgroßen Rumkugeln, die sie gemeinsam quasi über Nacht verfertigten, wurden nur einen kurzen Augenblick lang misstrauisch beäugt, dann brach der Ansturm los. Das hochprozentige Fett haute so ordentlich rein, dass der Kleinkutschen-Parkour – eine Art Vorläufer des Autoscooters – aus Mangel an fahrtüchtiger Kundschaft vorzeitig geschlossen werden musste. Eine Kugel reichte aus, um jeden Kirchweihbesucher in lächelnde Seligkeit zu versetzen, spätestens nach der zweiten verknoteten sich die Zungen, verwechselten sich linker und rechter Fuß und hielten Frauen wildfremde Männer für ihre Ehegatten und umgekehrt. Kurz: die Kirchweihversammlung geriet in eine überschäumend-heitere Stimmung wie nie zuvor.
Soweit die Überlieferung. Woher ich das alles weiß? In meiner Familie wird die Geschichte seit Generationen weitererzählt, stets mit dem abschließenden Fingerzeig, dass aller Wahrscheinlichkeit nach einer unserer Vorfahren das Kind des Korsaren mit der Meierin gewesen sei. Ich jedenfalls probiere es alle Jahre wieder, mich auf der Michaelis Kärwa mit Rumkugeln zu berauschen. Bisher vergeblich, obwohl ich mir gewaltige Mengen von den kleinen Bällchen gönne, zu denen die Köstlichkeit in den letzten dreihundert und mehr Jahren trotz Kakaozugabe geschrumpft ist. Um wirklich wegen fortgeschrittener Fahruntüchtigkeit am Autoscooter abgewiesen zu werden, muss ich bis heute noch fünf-sechs Seidla zusätzlich zuführen. Doch es gibt schlimmeres!
Fürther Kärwazeitung, September 2023. Zum möglichen Verwandtschaftsverhältnis zur Erfinderin der Rumkugel darf der Autor aus urheberrechtlichen Gründen keine Stellung beziehen.
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