Die zweite Story aus dem Bierbrevier. Auch hier wird ein altes Menschheitsthema berührt. Ich sage immer: Autofahren und erben – das sind diejenigen beiden Tätigkeiten, die aus jedem Menschen die verabscheuungswürdigsten Verhaltensweisen hervorlocken.
Nr. 2
»Von mir kriegt keiner was, wenn ich einmal nicht mehr bin«, beliebte der dicke Thomas alle Tage zu sagen und hob die volle Maß Bier. Den Pharao nannte man ihn, weil es hieß, er habe einen hübschen Batzen Geld zu Hause gebunkert. Sprach man ihn darauf an, so lachte er, mit himbeerroten feuchten Lippen und kleinen hellblauen Schweinsäuglein, und rief: »Das mag wahr sein – oder auch nicht. Aber ich schwör: Bevor mich die Würmer fressen, bring ich mein ganzes Vermögen unter die Leut!« Seine drei Kinder hörten solcherlei Gerede natürlich nicht mit größtem Wohlgefallen. Doch was sollten sie tun? Der alte Pharao saß jeden Tag im Wirtshaus und trank eine Maß Bier nach der anderen und spielte Karten und aß früh, mittag und abend à la carte und trank bis in die Nacht hinein noch drei Mal so viel Bier, bis der Wirt kapitulierte. Thomas schwoll an, er ging auf wie ein Hefeteig, er wurde dicker und dicker und dicker. Und dass er nicht platzte lag nur daran, dass ihn gerade noch rechtzeitig der Schlag traf. Eine halbe Stunde dauerte es, bis jemand merkte, dass Thomas, der Pharao für immer aufgehört hatte, den Krug zum Munde zu führen, und mit starren, glasigen Augen in die Ewigkeit schaute. Damit, dass kein Pfennig Geld mehr da war, hatten seine Nachkommen ja schon gerechnet. Aber die Würmer fraßen ihn dennoch nicht, denn die Erben engagierten einen ausgezeichneten Taxidermisten, der den Pharao ausstopfte. Thomas blieb für immer in seiner Ecke der Wirtsstube sitzen, einen gläsernen Krug in der Hand, den man im Scherzartikelhandel besorgte. Die Maß sah aus wie echt, aber wenn man sie umkippte, wurde die gelbgoldene Ersatzflüssigkeit darin an einem durchsichtigen Deckel gehalten. In den Kopf der ausgehöhlten Mumie schnitt der Experte einen Münzschlitz. »Einmal prosten – 1 DM«, stand auf dem Schild, das über dem Pharao an der Wand hing. Und dank der Touristen, die wenig später begannen, in Scharen das Wirthaus zu besuchen, wurden die Kinder des selbstsüchtigen Thomas am Ende doch noch steinreich.
aus: „Unser täglich Bier gib uns heute“, ein Almanach mit 366 Geschichten über’s Bier (von 31 Autor*innen), Tredition Selfpublishing Verlag, 2020.
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