Wenn’s läuft, dann läuft’s

Eine Geschichte mit Wurzeln weit in der Vergangenheit, als ich mich nämlich tatsächlich einmal als Bauhilfsarbeiter versuchte, und mit weit reichenden Folgen in der Zukunft. Denn hieraus resultierte einer der Anstöße für das Bierleitungs-Gemeinschaftsprojekt mit Martin Droschke, Oliver Hess, Katharina Winter und Ulrike Götz… doch darüber ein andermal und zu seiner Zeit.

Nr. 4

Nach dem Schulabschluss wusste ich nicht, welchen Beruf ich ergreifen sollte. Der Berufsberater beim Arbeitsamt sagte mir, ich könne frei wählen: Schiffsdieselpflegehelfer oder Tiefbaugeselle. Da es von meiner Heimat ein sehr weiter Weg bis zum nächstgelegenen Ozean ist, entschied ich mich für den Tiefbau. Und habe es bis heute nie bereut! Denn schon nach ein paar Tagen zeigte mir der Meister etwas, das mein Leben veränderte. Eine Straße war aufgerissen worden, auf ganzer Länge zog sich der Schacht, ein unentwirrbares Geflecht von unterirdischen Kabeln und Rohren war freigelegt. »Komm mit!« sagte der Meister und ich folgte ihm ins kühle Loch zwischen den eisernen Stützwänden. Dort unten saßen drei weitere Arbeiter im Schatten, die ich von oben gar nicht bemerkt hatte. In der Mitte der kleinen Versammlung ragte aus einem Edelstahlrohr vom Durchmesser eines ausgewachsenen Männerbeins ein goldglänzender Zapfhahn. »Das, mein Junge«, verkündete der Meister in feierlichem Tonfall, »das ist die südosteuropäische Bierpipeline. Und wir lassen uns jetzt ein frisch gezapftes Pils über den Knorpel laufen.« Und so hockten wir die nächsten drei Wochen jeden Tag in der Grube und tranken von früh bis spät. Bis wir das Loch wieder verschlossen, die Straße nachlässig flickten, die Absperrungen auf den Transporter schmissen und weiterzogen ins nächste Viertel, wo eine andere Bierpipeline verlief. Nur die Tiefbauer wissen um dieses Geheimnis, sie kennen die Verläufe der Bierversorgungsrohre und erzählen keiner Menschenseele davon. Denn in Wirklichkeit gibt es unter den Straßen unserer Städte nur wenig zu richten, aber unser Durst will nunmal gestillt werden.

aus: „Unser täglich Bier gib uns heute“, ein Almanach mit 366 Geschichten über’s Bier (von 31 Autor*innen), Tredition Selfpublishing Verlag, 2020.


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